“Digitale Dekade” der EU nimmt Gestalt an

Vor zwei Jahren ist Ursula von der Leyen mit einem Digitalisierungsprogramm als neue EU-Präsidentin angetreten. Dann überlagerte die Corona-Pandemie das aktuelle Geschehen. Das Programm für die digitale Dekade nahm trotzdem Gestalt an. Zuletzt zeigte der “European Chips Act”, dass die Kommission die Ansage der “digitalen Souveränität Europas” auch mit Milliardenbudgets umsetzen will.

Helmut Spudich

Vielleicht war es gerade die Pandemie, mit der die Dringlichkeit zur Umsetzung der “digitalen Souveränität” der EU klar wurde. Bei ihrem Amtsantritt Ende 2019 erklärte Ursula von der Leyen Digitalisierung zu einem Eckstein ihrer Politik, rief eine digitale Dekade aus, legte vor einem Jahr die zu erreichenden Ziele in Form eines digitalen Kompasses vor. Dann überschattete Corona die Politik in Europa. Dabei wurde eine Schwäche schmerzlich bewusst: Aufgrund der Probleme der globalen Lieferkette und Mangels ausreichender eigener Produktion fehlten in Europa Chips in allen Bereichen und dämpften die rasche Erholung der Wirtschaft, trotz Milliardenhilfen.

Jetzt zeigt sich, dass die EU ihre “Visionen” auch mit den nötigen Euros umsetzen will. Mit dem am 8. Februar vorgestellten European Chips Act steckt die Kommission ein ambitioniertes Ziel ab, um Europa unabhängiger von Lieferketten sowie dem amerikanisch-chinesischen Handelskonflikt zu machen. Das 43 Milliarden Euro Programm ist der bislang härteste Teil einer viele Punkte umfassenden digitalen Agenda. Schon Ende 2021 wurden der “Digital Services Act” sowie der “Digitale Market Act” vorgelegt. Damit sollen vor allem die US-“Big Tech”-Konzerne an die Leine von Privatsphäre und europäischer Regulierung gelegt und Chancengleichheit für europäische Unternehmen gesichert werden. Und, für viele überraschend, kündigte Binnenmarkt-Kommissar Breton Thierry erst vor wenigen Tagen an, dass die EU auch bei erdnahen Kommunikationssatelliten zur Versorgung mit Internet mitmischen will.

Subventionen für Leading Edge Produktion

Mit 43 Milliarden Euro könnte das EU-Programm zur Unterstützung einer europäischen Produktion hochwertiger Chips einen großen Schritt für die Halbleiter-Produktion bedeuten. Zwei Drittel des Geldes sollen in Subventionen für Leading-Edge Produktionsstätten fließen. Damit soll bis 2030 der europäische Anteil am weltweiten Chipmarkt von 10 auf 20 Prozent wachsen. Vor allem soll die große Schwäche ausgeglichen werden, dass die EU in der Produktion besonders fortschrittlicher Chips praktisch keine Rolle spielt.

Europa kann jedoch auch auf Stärken bauen. Die Herstellung von Halbleitern ist nicht nur eine Frage riesigerr Silizium-Fabriken. Sie bedarf auch eines Ökosystems von Forschung und Entwicklung (R&D), Software und den Maschinen, die für die Produktion von Chips notwendig sind. Bei letzterem ist der niederländische Werkzeughersteller ASML mit seinen lithografischen Maschinen weltweit führend. Auch bei R&D und Software kann Europa auf eigene Expertise bauen, allen voran das belgische “Interuniversity Microelectronics Center” (IMEC), sowie die deutschen Fraunhofer-Institute.

Aber selbst wenn es gelingt, dass große Hersteller dank staatlicher Förderung in Europa produzieren, bleibt eine Schwäche des Chips Acts, sagt Jan Preibisch, Leiter der Market Intelligence bei AT&S: “Nach der Produktion der Silizium-Wafer wird der Chip erst durch Packaging in seine finale Form gebracht und anschließend getestet. Diese beiden Schritte sollen weiterhin in Asien passieren, der European Chips Act würde das in seiner jetzigen Fassung nicht ändern”, sagt Preibisch.

Sehr ambitioniert ist auch Thierrys Ankündigung eines Programms für den Aufbau von Kommunikationssatelliten. Mit sechs Milliarden Euro – mehr als die Hälfte durch private Investitionen – soll ein Netz entstehen, das zusätzlich zu Glasfaser und 5G-Mobilfunk eine sichere Internet-Infrastruktur ermöglichen soll.

Erste Dienste soll es bereits im nächsten Jahr geben, drei Jahre später soll der Vollausbau erfolgen. Damit will die EU erreichen, dass die Union nicht von US-Konzernen abhängig ist. Ob ein solcher Zeitrahmen realistisch ist, ist fraglich. Die langen Verzögerungen, ehe die europäischen Satellitenprogrammen Galileo (eine Alternative zu GPS) und Kopernikus (zur Erdbeobachtung) betriebsbereit waren, geben eher keinen Grund zum Optimismus.

Veröffentlicht am: 24. Februar 2022

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