Wenn Autos mit Autos, Fahrrädern, Scootern und Passant:innen reden, werden Unfälle seltener
Zwar piepst und blinkt es im modernen Autocockpit. Dennoch herrscht zwischen den Teilnehmern im Straßenverkehr meist Informationsmangel. Ein neuer Kommunikationsstandard, C-V2X, soll die Beziehungen zwischen den Beteiligten nachhaltig verbessern.
Helmut Spudich
Gute Beziehungen beruhen auf guter Verständigung. Im Straßenverkehr ist diese jedoch weitgehend abwesend und führt zu gefährlichen Missverständnissen und Unfällen. Zwar gibt es eine zunehmende Zahl von Sensoren, Warnlichtern und Signaltönen im Autocockpit, etwa beim Einparken, wenn LKWs rückwärtsfahren, ein Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Auto unterschritten wird oder im Rückspiegel ein anderes Fahrzeug auf der Nebenspur sichtbar ist. Welche Absichten andere Verkehrsteilnehmer jedoch verfolgen, womöglich außerhalb des eigenen Sichtfeldes, bleibt meist verschlossen.
Das Resultat mangelhafter Kommunikation im Straßenverkehr sind zahllose Verkehrsunfälle, viele mit schwerwiegenden Folgen für Mensch und Gerät. Vor allem Fußgänger und Radfahrer, gegenüber Autos die wesentlich schwächeren Verkehrsteilnehmer, sind überproportional von Unfällen betroffen. Doch eine Therapie zur Verbesserung der Kommunikation im Straßenverkehr ist in Sicht.
Schon in wenigen Jahren sollen sich Fahrzeuge über ihre Absichten wechselseitig verständigen können. Basis für dieses „Smart Mobility“ genannte Konzept ist die 5G-Mobilfunktechnologie. In den Anfangsjahren wird auch die vorhandene 5G-Vorgängertechnik LTE (4G) verwendet werden. 4G und vor allem 5G ermöglichen den raschen Austausch von Informationen zwischen Fahrzeugen, Geräten oder der Bewegung von Menschen, die damit ausgestattet sind. Das Konzept beruht auf dem „Internet der Dinge“ (IoT, Internet of Things), wenn Geräte mit Geräten kommunizieren. Für manche Aspekte des Straßenverkehrs ist automatisierte Kommunikation bereits jetzt vorgesehen, wenn etwa bei einem Crash eine Notfalls-Meldung abgesandt wird.
Achtung, Glatteis!
Diese Kommunikation soll durch einen C-V2X (Cellular Vehicle to Many, die Mobilfunkverbindung von einem Fahrzeug zu vielen) getauften Standard schon in den nächsten Jahren erheblich ausgeweitet werden. So könnte ein Auto mittels seiner Sensoren Straßenglätte und Eis erkennen und diese Information an nachfolgende Fahrzeuge „weitersagen“, die ihre Fahrer warnen oder sogar selbsttätig das Tempo verringern. In einem anderen Beispiel nähert sich ein Fahrzeug mit zu hoher Geschwindigkeit einer Baustelle und könnte die dort arbeitenden Menschen gefährden. Eine Warnung würde rechtzeitig an diese Arbeiter verschickt werden. Vor allem das ungleiche Kräfteverhältnis zwischen schweren, schnellen Autos und langsameren, verletzlicheren Radfahrern und Passant:innen könnte sich dank entsprechender Kommunikation der Verkehrsteilnehmer stark entschärfen.
In den USA, Europa und China sind erste Fahrzeuge und Verkehrseinrichtungen bereits versuchsweise mit C-V2X-Technologie ausgestattet. Ab 2025 soll die Fahrzeugkommunikation serienmäßig in Autos verbaut werden. Bis ein solches System jedoch tatsächlich zu „Smart Mobility“ führt, braucht es eine relativ starke Verbreitung, nicht nur bei Autos, sondern auch Roller, Radfahrern, Scootern und Fußgängern. Bei Fußgängern oder Radfahrern könnte diese Funktionalität in Smartphones und Smartwatches integriert werden. Deren Sensoren können bereits jetzt einen Crash registrieren und einen Notruf auslösen, wie die jüngsten Versionen von Apples iPhone und die Apple Watch zeigen.
Derzeit gibt es noch einen Wettstreit unterschiedlicher Standards für diese Aufgaben. Audi testet sowohl C-V2X als auch andere V2X-Verfahren mit dem Virginia Department of Transportation in 103 Städten, berichtete die New York Times. Eine Anwendung: Überholt ein Auto trotz Verbots einen der prominenten gelben US-Schulbusse, erfolgt eine Warnung an den Fahrer, keine Kinder aussteigen zu lassen. In anderen Beispielen geht es darum, durch Vorausinformation über eine Ampelschaltung Stress im dichten Verkehr zu reduzieren. In Europa soll Volkswagen mit Car2X – eine Variante von C-V2X – seinen Autos ermöglichen, Informationen über Verkehrsbedingungen wie Schlaglöcher, Glatteis oder vorausliegende Staus auszutauschen. Nachteil: Das System ist auf Autos des Herstellers beschränkt.
Geofencing
Der Direktor des Industriekonsortiums 5G Automotive Association, Johannes Springer, beschreibt eine weitere Anwendung für kommunizierende Autos: Die Übermittlung geografisch eingegrenzter Verkehrsregeln, im Fachjargon „Geofencing“ genannt. Dieses findet sich beispielsweise auf Autobahnen in Österreich, die bei hohen Schadstoffwerten in der Luft vorübergehend eine Tempobremse verhängen. Derzeit wird dies durch digitale Verkehrszeichen angezeigt. In einer Welt der C-V2X-Kommunikation könnte es direkt ins Cockpit übertragen werden und das Auto automatisch eingebremst werden.
Voraussetzung für die automatische Umsetzung ist jedoch ein nicht unumschrittener Aspekt von „Smart Mobility“: Der Schritt von Warnsignalen zur selbsttätigen Umsetzung durch das Fahrzeug ohne Mitwirkung der Fahrer. Wann soll ein Auto autonom reagieren, wann bleibt der Mensch am Steuer? Bei Notbremsungen, die einen schweren Unfall verhindern, wird dies wenig umstritten sein. Bei Geschwindigkeitsbegrenzungen hingegen schon eher: Es könnte auch ein Notfall vorliegen, der höheres Tempo subjektiv rechtfertigt.
Bis zur Klärung dieser Frage bleibt noch ein langer Weg. Denn während Fahrzeughersteller bereits ab 2025 ihre Autos und Fahrräder C-V2X-fähig machen, warten die Behörden in Europa ebenso wie den USA und China mit verbindlichen Regelungen noch ab.
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