Mit Künstlicher Intelligenz übernehmen autonome Drohnen die Wächterrolle bei kritischer Infrastruktur

Ob es um Korrosion von Strommasten geht, die Überwachung von Gasleitungen oder die Kontrolle von Hafenanlagen: Autonome Drohnen und KI-Systeme übernehmen Aufgaben, die von Menschen nur mit großem Aufwand und unter Lebensgefahr gemacht werden können.

Helmut Spudich

Der britische Netzbetreiber UK National Grid will künftig zur Überwachung und Wartung seiner Strommasten autonom fliegende Drohnen und Künstliche Intelligenz zur Auswertung der Bilddaten einsetzen. Damit sollen einerseits die Wartungskosten erheblich reduziert werden. Andererseits wird die Wartung verbessert: Die Inspektion von Starkstrommasten durch Kletterer erfordert erhebliche Sicherheitsvorkehrungen, was zu großen Abständen bei der Überwachung führt.

Ein erfolgreicher Feldversuch mit Drohnen ging im Frühjahr dieses Jahres über die ländliche Bühne des englischen Nottinghamshire. In wenigen Meter Abstand umkreist eine surrende Drohne die Starkstrommasten. Gelenkt wird sie nicht von einem Piloten, sondern einer computerisierten Kontrollstation. Als sie nach 65 hochauflösenden Aufnahmen und einigen Minuten später zum Applaus der Technikerinnen und Techniker wieder landet, hat sie ihre Diagnosedaten bereits zur Überprüfung auf Korrosion an ein System Künstlicher Intelligenz (KI oder AI, Artificial Intelligence) gesendet, berichtete das Techmagazin Wired.

Derzeit werden die Maste fast ausschließlich durch kletternde Techniker überwacht, was große Gefahren birgt. Gelegentlich werden Hubschrauber eingesetzt, was teuer und umweltbelastend ist. Obendrein sind die vom Hubschrauber gelieferten Daten aufgrund der nötigen großen Distanz von schlechterer Qualität. Wartungsmaßnahmen werden darum meist nicht aufgrund individuell diagnostizierter Schwächen vorgenommen, sondern automatisch in regelmäßigen Intervallen. Damit werden auch alle Masten gewartet, die in tadellosem Zustand sind. Drohnen können dies hingegen laufend machen, eine Wartung erfolgt gezielt nur dort, wo sie gerade nötig ist.

Maßgeschneiderte Wartung

“Wir befehlen der Drohne einfach, einen bestimmten Starkstrommast zu untersuchen. Die Drohne ist dann in der Lage selbst über ihre Flugroute zu entscheiden und darüber, welche Teile des Mastes inspiziert werden müssen und wie sie die dazu die nötigen Daten einsammelt”, beschreibt der Gründer von Sees.ai John McKenna, dessen Unternehmen das Projekt entwickelt. Manuelle Kontrolle wäre keine Alternative, denn dabei kann ein Pilot nur eine Drohne steuern. Bei autonomen Drohnen agiert der menschliche Pilot hingegen mehr nach Art von Fluglotsen, die viele Drohnen im Überblick behalten.

Auch in anderen Ländern werden Drohnen derzeit für den Einsatz in der Überwachung des Stromnetzes “ausgebildet”: In Florida halfen Drohnen des israelischen Unternehmens Percepto bei der Wiederherstellung des Netzes nach Hurrikan-Schäden. In Norwegen kündigte der Stromnetzbetreiber Agder Energi Nett bereits im Vorjahr an, Drohnen künftig zur Netzüberwachung einzusetzen. Anders als beim britischen Projekt inspizieren die Drohnen hiier nicht individuelle Masten, sondern überfliegen entlang der Leitungen das Netz, um nach Stürmen und im Winter herabgefallene Äste zu melden. Drei schwedische Energieversorger haben inzwischen Überwachungsverträge mit dem Drohnen-Unternehmen Airpelago unterzeichnet.

Problem Luftraumkontrolle

Allen diesen Projekten gemeinsam ist die ungelöste Thematik der Luftraumüberwachung beim Einsatz von Drohnen. Während sich die Technologie immer schneller entwickelt und die Lösung immer komplexerer Aufgaben übernehmen kann, hinkt die Regulierung des Luftraums in den meisten Staaten den neuen Anforderungen nach. In vielen Ländern verlangen Luftfahrtsbehörden, dass Drohnen nur bei Sichtverbindung zu ihrem Piloten geflogen werden dürfen. Bisherige Versuche beruhen auf Ausnahmegenehmigungen und können nicht in die größere Praxis umgesetzt werden. Aufgrund dieser bürokratischen Hürden entwickeln mehrere Startups ihre Systeme in afrikanischen Ländern, die keine entsprechenden Bestimmungen haben.

Auch technische Herausforderungen bleiben. Das elektromagnetische Feld von Starkstromleitungen kann die Systeme der Drohnen beeinträchtigen. GPS-Navigation ist bei dichter Vegetation und in hügeligem Areal oft ungenau bei der Berechnung der Flughöhe. In manchen ländlichen Regionen ist die Satellten-Coverage schwach. Darum sind Antikollisions-Systeme zur Sicherheit des Flugs nötig, was wiederum neue Herausforderungen mit sich bringt.

Nicht nur Elektrizitätsversorger testen derzeit Drohnen zur Überwachung ihrer Netze. Thyssengas, ein deutscher Betreiber eines Erdgas-Netzes, arbeitet gleichfalls am Einsatz von Drohnen zur Kontrolle seiner Leitungen. Diese Leitungen werden sowohl am Boden als auch durch regelmäßige Helikopterflüge entlang der Trasse überwacht. Lautstärke der Flüge stören ebenso wie die Emissionen des Flugverkehrs und seine hohen Kosten. Alternativ sollen darum vollautomatisierte Drohnen die Überwachungsaufgabe aus der Luft übernehmen. Hangars entlang der Route dienen den Drohnen zum Stromtanken sowie zum Download der Bilddaten. KI-Systeme analysieren diese Bilder dann auf mögliche Probleme entlang der Leitung – wozu auch Holzstapel, Erdhügel oder Baumaschinen in der Nähe der Pipelines zählen.

Drohnen überwachen Hamburger Hafen

Regulatorisch einfacher, in Hinblick auf seine Anlage technisch komplexer als Strom- und Gasleitungen, stellt sich der Einsatz von Drohnen über dem riesigen Areal des Hamburger Hafens dar. Über 10.000 Fußballfelder hätten auf dem Gelände des drittgrößten europäischen Hafens (nach Rotterdam und Amsterdam) Platz.

Bis zu 100 Drohnen gleichzeitig behalten Hamburger Hafen im Blick

Bis zu 100 Drohnen gleichzeitig behalten Hamburger Hafen im Blick / F: HHLA

Wirklich zu überblicken ist das Geschehen auf diesem Areal nur aus der Vogelperspektive. Automatisierte Drohnen inspizieren unter anderem Containerbrücken und Asphaltflächen und erkennen – im Zusammenspiel mit KI-Systemen in der Cloud – Schäden und Abnutzungen. Die hochauflösenden Bilder werden Live übertragen. Damit kann die Aufsicht zum Beispiel reagieren, wenn sich Menschen gesperrten Gefahrenbereiche nähern, ohne die gesamte Logistikkette zum Stillstand zu bringen.

Neben ihrer Aufgabe als Wächter des Hafenareals übernehmen die Drohnen auch logistische Aufgaben. Sie beschleunigen den Frachtverkehr, indem sie Pakete und Dokumente wie Frachtpapiere befördern. Was bei der Paketzustellung zur privaten Adresse noch Zukunftsmusik ist, ist im Hamburger Hafen bereits Realität. Eine besondere Herausforderung des Flugverkehrs über dem Hamburger Hafen: Bis zu 100 Drohnen können gleichzeitig unterwegs sein, ohne sich in die Quere zu kommen.

Ermöglicht wird dies durch ein eigenes Mobilfunknetz für den Hamburger Hafen, ein sogenanntes Campus-Netz, das von der Deutschen Telekom errichtet wurde und betrieben wird. Dadurch wird es möglich, innerhalb des Datenverkehrs der Drohnen Priorisierungen vorzunehmen und so störungsfrei zu arbeiten. So haben Steuerungssignale stets Priorität vor anderem Datenverkehr, wie der Übertragung von Bilddaten. Vorbereitet werden die Drohnen für ihre verantwortungsvollen Aufgaben an einem zweiten Standort. Dort werden sie erprobt und eingerichtet, ehe sie komplett flugfähig und einsatzbereit zum Hamburger Hafen kommen.

Veröffentlicht am: 13. Juli 2022

Beitrag teilen: