Fokus AI: Die erste Million ist immer die schwerste, insbesondere für eine Künstliche Intelligenz
Vom Reden ins Tun kommen, das ist der „Moderne Turing-Test“ für KI-Systeme. In manchen Bereichen kommt Künstliche Intelligenz diesem Erfolg bereits nahe.
Helmut Spudich
Schon 1950, lange bevor die ersten Computer menschliches Verhalten simulierten, beschäftigte den Mathematiker Alan Turing eine Frage, die heute im Mittelpunkt der Diskussion um Künstliche Intelligenz (KI) steht. Wie kann man erkennen, dass eine Antwort von einem Computer und nicht von einem Menschen kommt? Das Mathematik-Genie war als Code-Breaker der deutschen Chiffriermaschine Enigma im 2. Weltkrieg berühmt geworden. Und er setzte sich bereits zu der Zeit mit dem aktuell aufkommenden Feld der Künstlichen Intelligenz auseinander.
Der Mathematiker schlug ein Spiel mit drei Spielenden vor, das „Imitation Game“. Das Setup: Ein Interviewer würde Fragen stellen, die Antworten sollte einerseits ein Mensch geben, andererseits eine Maschine. Sobald der Interviewer nicht mehr unterscheiden könne, wer welche Antwort gibt, habe der Computer den Turing-Test als Künstliche Intelligenz bestanden.
Schneller Vorlauf um 72 Jahre, als im Herbst 2022 ChatGPT öffentlich zugänglich gemacht wurde: Seither haben hunderte Millionen Menschen der Maschine Fragen gestellt, deren Antworten sich in vielen Fällen nicht mehr von der eines Menschen unterscheiden. Zwar wurde es eine Art Sport, GPT der Unwahrheit oder des Halluzinierens zu überführen, jedoch zeigt eine Vielzahl von Fällen an Universitäten und Schulen, dass Lehrende nicht mehr verlässlich zwischen den Arbeiten Studierender und GPT & Co. unterscheiden können.
Ein neuer Turing-Test ist notwendig, sagt darum der britische KI-Forscher Mustafa Suleyman. Suleyman war 2010 ein Mitbegründer des KI-Unternehmens DeepMind, das 2014 von Google gekauft wurde. 2016 machte DeepMind mit seinem Programm „AlphaGo“ Schlagzeilen, als es den Weltmeister im Go-Spiel schlug. Mindestens ebenso beeindruckend war einige Jahre später im Juli 2022 die Bekanntgabe, dass mit „AlphaFold“ über 200 Millionen Proteinstrukturen vorhergesagt werden können.
Der neue, von Suleyman vorgeschlagene „Moderne Turing-Test“ zur Einschätzung der Fähigkeiten einer KI soll darin bestehen, dass Maschinen vom Reden ins Tun kommen sollen und Leistungen erbringen, die bisher nur Menschen schaffen konnten. Um zu bestehen, müsste eine KI erfolgreich diese Aufgabe lösen können: „Verdiene mit einem Startgeld von 100.000 US-Dollar in wenigen Monaten 1 Million US-Dollar auf einer Einzelhandels-Webplattform.“
Um das zu erreichen, müssten Systeme wie GPT mehr können, als nur PowerPoint-Präsentationen mit Strategie-Vorschlägen zu erstellen, sagt Suleyman. KI müsste den Markt erkunden und Produkte entwerfen, mit Herstellern und Logistikern Verträge verhandeln, Marketing-Kampagnen entwerfen und durchführen. An verschiedenen Punkten sei zwar ein Mensch nötig, der zum Beispiel Bankkonten eröffnen kann. Aber die eigentliche Arbeit würde bei der KI liegen. Gerne würde man diesen „Modernen Turing-Test“ noch um ein wesentliches Kriterium erweitern: Die Nachhaltigkeit des Produkts, damit nicht nur sinnloses weiteres Zeug unseren Planeten belastet.
Dem Sprichwort zufolge ist die erste Million die am schwersten verdiente. Wenn man jedoch die Testaufgaben nicht nur kommerziell formuliert, dann steht KI in manchen Bereichen dem Erfolg bereits nahe. Ein Feld, in dem KI vom Reden ins Tun kommt, sind Erfindungen.
Eine solche Erfindung ist eine hitzeabweisende Getränkeflasche, die von einem KI-System namens „DABUS“ des KI-Forschers Stephan Thaler entwickelt wurde. Südafrika gewährte dieser Erfindung ein Patent, in den USA lehnten die Patentbehörden dies bisher ab. Eine Entscheidung des Obersten Gerichts steht noch aus.
Die Getränkeflasche sieht zwar merkwürdig aus und ist, einem Bericht der New York Times zufolge, auch umständlich zu benutzen, aber sie funktioniert und man kann damit beispielsweise sehr rasch Eistee herstellen. Bemerkenswert ist, dass die KI nicht mit speziellem Wissen trainiert wurde, um zu ihrem Ergebnis zu kommen. Hergestellt wurde die Flasche entsprechend dem KI-Bauplan mit einem 3D-Drucker. Für eine Massenproduktion ist sie nicht gedacht, sagt Thaler, sondern lediglich als „Proof of concept“. Patentämter in aller Welt zerbrechen sich seither den Kopf darüber, wie sie mit dieser Entwicklung umgehen sollen.
Vielleicht ist ja eines Tages die erste Million doch nicht so schwer zu verdienen, wie gesagt wird. Dann haben wir alle Aussicht darauf Millionär:innen zu werden – wenn uns nur der richtige Prompt für die KI einfällt.
Beitrag teilen: